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B. Flimm

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Eine Kolumne von Bastian Flimm

11. Nov. 2021

Mitten in der Klimadebatte sorgen literarische Fundstücke und fleißig fliegende Herbstblätter für Entspannung

In sein Tagebuch schrieb der japanische Dichter Issa im Jahr 1819: „Mit Buddha habe ich noch keine Gnade gefunden, ich verschwende Tage und Monate mit sinnlosen Aktivitäten, schäme mich und denke, dass mein Kind, welches nur 2 Jahre alt ist, näher an der Wahrheit ist als ich.“ Issa war der Meinung, dass das kalkulierende Ego eines Erwachsenen ein Hindernis auf dem Weg zur Erleuchtung sei. Daher bewunderte er nicht nur Kinder, sondern auch Tiere. Er schrieb 54 Haiku nur über die Weinbergschnecke, z.B. : „Ja Weinbergschnecke / besteige den Berg Fuji / aber ganz langsam.“ Issa hatte viele Schicksalsschläge in seinem Leben zu verkraften. Als sein Haus abbrannte, musste er in einem fensterlosen Schuppen den Lebensabend verbringen. Doch den Sinn für originelle Betrachtungen verlor er nie: „Am Berg der Mond doch / den frechen Blütenräuber / Mit Glanz beehrte“.

Der Mondglanz fällt auf alle Erdbewohner. Das schließt die Teilnehmer der 26. UN Klima-Konferenz in Glasgow mit ein, soweit sie es fertig bringen, die Räume des Scottish Event Campus für einen Spaziergang zu verlassen. Durch die umliegenden Straßen marschieren stolz die Demonstrierenden von Fridays for Future, die zumindest in puncto Mondlicht in Führung liegen dürften. Während die Klima-Unterhändler der UN behaupten, nun endgültig die richtigen Maßnahmen einzuleiten, werfen die Freitagprotestierer ihnen das Gegenteil vor: Taten- und Ideenlosigkeit und all das trotz besseren Wissens. Greta sagte: „… die Teilnehmer würden aktiv Schlupflöcher und Rahmenbedingungen erschaffen, um weiterhin vom destruktiven System zu profitieren.“ Sie bezeichnete das Event als Grünfärberei der reichen Staaten und als zweiwöchige Feier des Business-as-usual. Im Jahr 2021 eine Feier auszurichten ist eine höchst bedenkliche Angelegenheit. Im Zweifel gilt: keine Feier ist immer klimafreundlicher.

Aber eine Feier kann auch im kleinen Kreis stattfinden. Wenn zwei Personen sich zusammensetzen und leidenschaftlich diskutieren, kann das für heutige Verhältnisse als Feier gedeutet werden. Ob in Glasgow in den vergangenen Wochen jemals ein Fridays-for-Future-Aktivist mit einem Vertreter der UN Konferenz sprach? Hätten sie nicht etwas gemeinsam – z.B. das Klimathema? Es ist nicht auszuschließen, dass die Segregation der beiden Gruppen bis auf den letzten Mann und die letzte Frau verteidigt wurde. Beide Lager sind davon überzeugt, näher an der Wahrheit zu sein. Das ist ein Dilemma. Was hätte Issa über solch eine fest gefahrene Situation geschrieben? Aus den vielen Haiku seiner Handschrift lugt hervor: „Seid doch unbesorgt / Auch die Blätter fallen / Ohne Murren ab.“ Es sind die flatternden Blätter des Herbstes, in all ihren unendlichen Farben, Mustern und Schattierungen, die treu und zuverlässig ihre Arbeit machen. Manchmal braucht es nur einen kleinen Windstoß und das Kunstwerk sieht mühelos aus. Vermutlich fallen auch in Glasgow in diesen Tagen die Herbstblätter auf alle Erdbewohner.