L. Basho
Raus aus Mitte!
Eine Kolumne von Lukas Basho
Ein gemeinsamer Spaziergang am Nordufer führt zu tieferen Einsichten über das einzigartige Verhältnis zwischen Menschen und Katzen
Vor ein paar Tagen rief ein guter Freund von mir an und fragte, ob wir uns auf einen Kaffeespaziergang treffen wollten. Ich sagte zu und bei schönstem Novemberwetter spazierten wir vom Sprengelpark in Richtung Nordhafen. Ziemlich lässig erzählte er mir, dass er sich keine Sorgen mehr machen müsse, denn er hatte sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen beworben. Ich durfte weiterhin erfahren, dass es sich um ein Pilotprojekt handelt, dessen Bewerbungsfrist jetzt abgelaufen war – schade – und welches die Geldbörse mit 1.200 Euro pro Monat aufbesserte. Es ist nicht meine Natur, den Dingen auf den Grund zu gehen, ich nehme alles so hin was die Leute erzählen, denn sie werden schon wissen was sie tun. Und so fragte ich nicht weiter nach und freute mich über die gute Laune meines Kumpels. Als wir am Invalidenfriedhof vorbeikamen, erzählte er mir, dass sich insgesamt 2 Mio. Menschen beworben hatten, und ergänzte etwas kleinlaut, dass nur 122 in den Genuss kämen. Während ich meinen Kaffeebecher auf den Boden stellte, holte ich mein Handy aus der Tasche und rechnete aus, dass die Wahrscheinlichkeit des Geldregens nur 0,006% betrug.
Es gibt viele Dinge, die sehr unwahrscheinlich sind und vielleicht deshalb eine bestimmte Faszination ausüben. Zum Beispiel ist es sehr unwahrscheinlich, dass vor tausenden von Jahren indigene Kulturen fußballfeldgroße Katzenbilder in den Boden kratzen. Solche Erd-oder Bodenzeichnungen nennt man Geoglyphen und diese sind oft nur aus der Luft zu erkennen. Ein bekanntes Beispiel ist das Uffington White Horse in Oxfordshire, England. Aber zurück zur Katze: wenn man bedenkt, dass auf einer allgemein bekannten Video-Plattform, dessen Name nicht erwähnt werden soll, über hundert Stunden Katzenvideos pro Minute hochgeladen werden, dann wird einem wiederum bewusst, wie stark die Katzenliebe in den Genen der Menschen verankert ist. In diesem Licht betrachtet würde ich es als wahrscheinlich empfinden, wenn man ein riesiges, tausend Jahre altes Katzenbild in einer einsamen Steppe entdeckte. Und in der Tat: erst im Oktober dieses Jahres hat man ein 37 Meter großes und 2.000 Jahre altes Katzenbild in der peruanischen Wüste gefunden. Auf dem Bild scheint sich die Katze aufmerksam nach ihrer Beute lauernd einem Wüstenhügel hinauf zu schleichen. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Wahrscheinlichkeits-rechnung nicht nur ein weites Feld, sondern eine anspruchsvolle Wissenschaft ist. Und ich würde niemals behaupten darin ein Experte zu sein, ganz im Gegenteil ist es sehr wahrscheinlich, dass ich nur ein ahnungsloser Anfänger bin.
Ich fragte meinen Freund, wie wahrscheinlich es denn sei, dass er die Penunzen einstreichen könne. Er lächelte und sagte, dass es sehr wahrscheinlich sei. Auf keinen Fall wollte ich seine gute Laune zunichte machen, aber wissenschaftlich betrachtet war die Wahrscheinlichkeit sehr gering, mindestens so gering wie die Chance, dass ich mit meiner jüngst ins Leben gerufenen Kolumne, mir bald ein Haus am Nordufer würde leisten können. Also fragte ich ihn, wenn er eine Zeitung hätte, ob er bereit wäre meine Kolumne auf der ersten Seite abzudrucken bzw. auf der Startseite ganz oben links einzublenden. Zu meiner Überraschung sagte er, dass dies eine erstklassige Möglichkeit sei, sich von der Konkurrenz abzusetzen. Ich freute mich sehr und hörte das Nordufer meinen Namen rufen. Und so spazierten wir vergnügt vor uns hin, vorbei am Invalidenpark und weiter Richtung Charité, zwei sich anpirschende Jäger, die wenn auch etwas naiv aber dafür um so leidenschaftlicher von einem in der Kasse klingelnden Beutefang träumten.
Und so langsam begann ich zu verstehen warum man vor tausenden von Jahren das Bild einer gewitzt jagenden Katze in den Boden schlug. Es dämmerte mir mit der aufgehenden Wüstensonne, dass die Katze sagte: „ich bin da, heute, morgen und übermorgen, für ewig in den Boden geritzt, meine Aufgabe ist es, euch daran zu erinnern, dass das Jagen eine Kunst ist und keine Wissenschaft.“
16. November 2020