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B. Flimm

Das Streiflicht

Eine Kolumne von Bastian Flimm

Das Streiflicht

28.12.2020

Kaum jemand hat es bemerkt, aber das englische Weihnachtslied „12 days of Christmas“ wird dieses Jahr 240 Jahre alt. Vergleichbar mit einem Kinderreim wird bei jeder Strophe ein Element, in diesem Fall ein Weihnachtsgeschenk, hinzugefügt. Für jeden der 12 Weihnachtstage gibt es eine Strophe, so dass mit der letzten Strophe alle 12 Geschenke versammelt sind. Wirft man nun einen genaueren Blick auf die schöne Bescherung stellt man fest, dass nicht nur Fleisch damals hoch im Kurs stand, sondern besonders die darstellenden Künste schwer gefragt waren. Neben Rebhuhn, Turteltauben, Hennen, Vögeln, Gänsen und Schwänen gesellen sich noch goldene Ringe, melkende Mägde, tanzende Damen, springende Herren, Dudelsackspieler und Trommler.

Ein solch wildes Weihnachtsfest scheint in unerreichbarer Vergangenheit gerückt, stolperte über den nicht zeitgemäßen Fleischkonsum und kippte kopfüber die Klippe der kritisch beäugten Geschlechterrollen hinab; Männer wollen melken, Mägde möchten auch mal trommeln. Aber Moment mal, warum eigentlich 12 Tage? Hierzulande ist man mit der Zahl 24 besser vertraut: wenn sich die 24. Tür des Adventskalenders öffnet, steht das Christkind vor der Tür. Es ist aber die Redewendung „zwischen den Jahren“, die nun weiterhilft, denn dieser Zeitraum besteht aus 12 Tagen, welches mit der Einteilung des Kalenders zu tun hat. Berechnet man das Jahr nach Mond- und Sonnenkalender erhält man eine Differenz von 12 Tagen. Bis ins 16. Jahrhundert wurde das neue Jahr am 6. Januar gefeiert, das alte Jahr dagegen am 24. Dezember verabschiedet. Die Zeit dazwischen wurde folgerichtig als „zwischen den Jahren“ bezeichnet.

Knöpft man sich das Zahlenspiel des Weihnachtslieds vor, tritt noch dieses ans Tageslicht. In der ersten Strophe heißt es ein Rebhuhn, es folgen zwei Turteltauben, drei Hennen usw., aber zum Schluss des Liedes bekommt man 8 melkende Mägde, 9 tanzende Damen, 10 springende Herren, 11 Dudelsackspieler und 12 Trommler geschenkt. Das geht natürlich nicht! Das ist im Corona-Jahr 2020 ein Ding der Unmöglichkeit und vielleicht geschah deshalb so wenig, um das Jubiläum dieses wunderbaren Weihnachtslieds zu feiern. Geht man nun tüchtig ans Werk und streicht heraus, was virusbedingt und auch sonst politisch fragwürdig ist, bleiben nur erhalten: fünf goldene Ringe. So kommt man zu dem Schluss, zu dem auch die Börse schon längst gekommen ist. Es ist ernüchternd zu erfahren, dass spekulierende Rohstoffhändler mal wieder längst wissen, was man sich selber mühsam erarbeiten muss. Der Goldpreis ist im Jahr 2020 um ungefähr 25% gestiegen, denn alle Investoren haben ihre mit Rebhühnern vollgestopften Portfolios bereinigt. Wenn nun die Rebhühner, Turteltauben und Hennen endlich frei herumlaufen, was fangen sie denn an mit ihrer Freiheit? Es ist nicht auszuschließen, dass sie gerade „12 days of Christmas“ singen und dabei in fröhlicher Runde tanzen. Fele comprehensa saltant mures in mensa, wenn die Katze gefangen ist, tanzen die Mäuse auf dem Tisch.