B. Flimm
Das Streiflicht
Eine Kolumne von Bastian Flimm
Das Streiflicht
21.1.2021
Vor genau 100 Jahren, am 21. Januar 1921, fand die Premiere von Charlie Chaplins „The kid“ in New York statt. Es gibt darin eine Szene, die den Zauber der verkehrten Verhältnisse elegant auf den Punkt bringt. In der kleinen Dachkammer des vom Chaplin gespielten Tramps sieht man ein großes Bett, darauf liegt der Tramp, raucht und liest Zeitung. Gegenüber am Herd steht sein Ziehsohn, the kid, den er als Baby aufgelesen hat und der seitdem bei ihm wohnt. The kid, ungefähr 6 Jahre alt, brät Eierkuchen in der Pfanne und stapelt sie sorgfältig aufeinander. Er stellt das Frühstück auf den Tisch und ruft den Tramp zum Essen. Als der sich nicht regt, reißt the kid ihm die Zeitung aus der Hand. Schließlich streckt und reckt sich der Tramp und bemerkt nebenbei ein großes Loch in der Bettdecke. Spontan schlüpft er mit seinem Kopf durch das Loch, steht auf und trägt die Bettdecke wie einen passgenauen Poncho. Lässig und mit der Würde eines Sultans schreitet er zum gedeckten Tisch. Im Hintergrund pfeift und kocht ein Wasserkessel.
Nachdem man in den letzten Wochen und Monaten schon so viele Tipps zum Zeitvertreib in den eigenen vier Wänden bekommen hat, ist doch diese Szene mal eine erfrischende Aufmunterung, den Bleib-zu-Hause-Stier nicht an den Hörnern zu packen, sondern andersherum auf ihm durch die Wohnung zu reiten. Die Eltern bleiben einfach mal im Bett liegen, Kind Nummer eins fängt mit homeschooling an, während Kind Nummer zwei Frühstück macht: Müsli, aufgebackene Brötchen, frischer Kaffee, ein gedeckter Tisch. Während der Kaffeeduft durch die Wohnung zieht, öffnet sich die Tür ins Eltern-Schlafzimmer. Sanft hört man das Treiben von Nummer zwei in der Küche, vielleicht vernimmt man das leise Klicken der Tastatur von Nummer eins, es gondelt vorzüglich die Kaffeeröstung um die Nase, ganz sachte wird man wach, und geradewegs aus dem Schlaftraum in den Tagtraum tretend kriegt man einen Kuss – schön!
Mit „The kid“ ging Charlie Chaplin ein mehrfaches Risiko ein. Es war sein erster Langfilm, für den allein die Dreharbeiten zwölf Monate dauerten und wofür er sich 500.000 Dollar von einer Bank lieh. Aber Mut bewies Chaplin auch in der Geschichte selbst, denn erstmals in der (noch jungen) Filmgeschichte verknüpfte er Komödie und Sozialdrama. Was sich später als der typische Chaplin-Stil herausstellte, Comedy mit Pathos und Wärme, wurde mit „The kid“ in die Filmwelt hinein geboren. Der Film wurde ein Kassenschlager, brachte ein Vielfaches an Gewinn ein und wird heute noch gern zu den hundert besten Filmen aller Zeiten gerechnet. Als der über 80-jährige Chaplin im Jahr 1971 nachträglich die Filmmusik komponierte, dachte er sich vielleicht: Vita brevis, ars longa, das Leben ist kurz, die Kunst ist lang.
wunderbar – hab‘ gleich mal nach der „Beschulung zu Hause“
The Kid angestellt – 4 Kids gucken 😉
Beste Grüße
Andreas