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J. Papadam

Ich wüsste gerne heute, was ich gestern gelesen habe

Aus der Reihe >Ich wüsste gerne heute, was ich gestern gelesen habe<

Es wird um erhöhte Aufmerksamkeit gebeten: wenn Ihnen eine Tomate auf den Kopf fällt, könnte es die Botschaft eines Tintenfischs sein!

Es gibt Wörter die haben eine höchst überraschende Bedeutung. Läuft man ihnen ahnungslos über den Weg, kann man etwas hineinlesen, das nichts mit der Realität zu tun hat. So geschah es mir mit ‚Hutgerechtigkeit‘. Welch ein prägnantes und treffsicheres Wort! Es beschreibt bestimmt, dass ein Jeder einen Hut nach seinem persönlichen Geschmack tragen darf, unabhängig von Klasse, Abstammung oder Berufsstand. Dieser Fakt war fest verankert in meinen hinteren Gehirnwindungen, Synapsen verdrahtet in alle Himmelsrichtungen, als ich erfuhr, hoppla, es ist doch anders. Die Online-Version des Dudens klärte mich auf, dass es das Recht bedeutet, sein Vieh an einer bestimmten Stelle hüten zu lassen. Heilige Maria! Sofort kamen mir die vergessenen Runddörfer der niedersächsischen Tiefebene in den Sinn, obwohl diese bestimmt noch viel älter sind als dieses Wort. Während im Frontallappen die Synapsen sich schnell darauf einstellten, mussten die eingefahrenen Höhlengänge im Scheitellappen von Grund auf neu verlegt werden. Es wurde mir erneut klar, dass das Leben letztendlich aus mühsamer Kleinarbeit besteht. Diese Herausforderung meisternd, kam mir ein weiterer Gedanke.

Wenn ich das Klima wäre, was würde ich tun? Also nehmen wir an, es gibt ein selbständig denkendes Wesen, sicherlich körperlos, das wie ein Tintenfisch all die Wetterfaktoren in den Tentakeln hält und steuert. Was würde ich also tun, wenn ich dieses Wesen wäre? Ich würde zunächst in der Hängematte liegen und mir gar keine Sorgen machen. Schließlich würde ich über den Begriff ‚Klimaschutz‘ lächeln; wollen die Menschen auf der Erde mich schützen? Ist das wirklich wahr? Bestimmt wollen sie eher ihren eigenen Schopf aus dem Schlamassel ziehen. Meine Wahrnehmung ist, dass sie sich Sorgen um ihr eigenes Überleben machen. Und das zurecht. Wenn ich nun lang genug in der Hängematte mich ausgeruht hätte, würde ich vielleicht irgendwann ein kleines bisschen Mitleid für die nervös agierende Spezies auf der Erde empfinden. Aus dem Mitleid heraus würde ich irgendwann versuchen Kontakt aufzunehmen. Nun sind unsere Sprachen grundlegend verschieden sind und ich kann nicht einfach bei einem Kaffeeklatsch meine Meinung kundtun. Was geschieht also? Ich würde mich auf die Suche machen, Vertreter dieser Spezies ausfindig zu machen, die bereit sind eine neue Sprache zu lernen und offen sind für neue Sichtweisen. Und mit diesem Gedanken mache ich mich auf den Weg und taste mich mit tausend Tentakeln in die Menschenwelt hinein. Und wen oder was finde ich? Ehrlich gesagt finde ich wenig. Die Menschen wissen entweder alles oder sie wissen nichts. Wenn sie ahnungslos sind, verweisen sie am liebsten auf einen Experten, der mehr weiß. So kommen wir nicht voran, Leute! Gibt es denn jemand, der halbwegs intelligent ist, über ein durchschnittliches Wissen verfügt und gleichzeitig einen Bruchteil des Wissbaren offenlässt, quasi als unerforschtes Gebiet, welches die Neugier anstiftet?
Ich will es kurz und knapp halten. Auf dem Rückweg in die Hängematte, denn ich hatte die Suche schon eingestellt, flatterte mir ein Zeitungsschnipsel in die Tentakeln. Ich las eher nebenbei über einen sogenannten Popstar, dessen Wachs-Kopie ganz frisch in einem Museum in Berlin aufgestellt wurde. Sein Name soll wohl Mark Forster sein. Zumindest soll er bei Besichtigung seiner eigenen Kopie, folgendes gesagt haben: „Ja fantastisch! Das sieht aus wie ich, aber ich finde 4% Jack Nicholson sind auch dabei.“ Wie geistreich! Ich weiß nicht wer dieser Jack Nicholson ist, aber er steht für das Unbekannte, das zu Entdeckende, und das mögliche Stelldichein von Mensch-in-Not auf der einen und Klima-in-der-Hängematte auf der anderen Seite.

An alle da draußen die gerne bereit sind, zumindest 4% der festen Glaubenssätze hinter sich zu lassen: ich sende euch Botschaften, jeden Tag, jede Minute. Das Format kann sehr unterschiedlich sein: Postkarte, Wetterkapriole, Buchstabe in den Himmel gepinselt, Regentropfen auf der Autoscheibe, das Knarzen einer alten Eiche, das Schlürfen eines Wallachs, das saftige Platsch einer Tomate auf dem Kopf, hey ich versuche hier alles möglich zu machen. Meine einzige Bitte ist: versucht auch ihr, alles möglich zu machen. Auch wenn es kleinteilige Arbeit bedeutet. Es könnte dazu kommen, dass einzelne Wörter umgedeutet werden müssen. Es könnte Euch schweißtreibende Arbeit in einer Höhle mit Schaufel in der Hand bevor stehen. Ihr seid aber völlig frei, das verspreche ich Euch, den Hut eurer Wahl zu tragen, egal ob auf dem Kopf, auf dem Knie oder auf welchem Tentakel auch immer.
Viele Grüße aus der Hängematte!

Jan Papadam …

Neben seiner Autorentätigkeit auch leidenschaftlicher Hobby-Architekt. Aktuell arbeitet er an einem Entwurf für ein Wachsmuseum, welches im Unstrut-Tal gegenüber der Arche Nebra errichtet werden soll. Verhandlungen mit Investoren laufen bereits. Seine größte Hoffnung ist, dass Jack Nicholson zur Eröffnung kommt und in Angesicht seiner eigenen Wachskopie sagt: „Fantastisch, das sieht aus wie ich, aber ich finde 4% Mark Forster sind auch dabei!“