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B. Flimm

Das Streiflicht

Das Streiflicht von Bastian Flimm

Wenn Hände nicht mehr schütteln dürfen

4.2.2021

Während manche Rituale ihren Schwanengesang erleben, dürfen andere die Wiedergeburt feiern. Das Händeschütteln war schon viele Jahre auf dem absteigenden Ast. Spätestens als die SED entschied, den mit Symbolgehalt überladenen Handschlag mitten ins Parteilogo zu platzieren, war allen seriösen Wissenschaftlern klar: das ist der Anfang vom Ende des Shakehands. Aber natürlich gab es andere Berufene, die das Gegenteil verkündeten. So ließ Thomas de Maziere noch im Jahr 2017 verlauten, übrigens als Teil seines 10-Punkte-Pamphlets zur Leitkultur, dass „wir uns zur Begrüßung die Hand geben“. Aber nicht nur virusbedingt kam der Handschlag zum Erschlaffen, schon im Jahr 2009 stellte die Deutsche Knigge Gesellschaft fest, dass im Osten der Republik 70%, aber im Westen nur 40% der Menschen sich die Hand reichen.

Was macht der Mensch, steht er nun mit leeren Händen da? Die Antwort ist ganz einfach und lässt sich an einer Hand abzählen. Er beginnt zu klopfen. Die Verwandtschaft zum Handschlag ist viel näher als man zunächst meint. Ein Klopfsignal kann ebenfalls gelungene Gespräche eröffnen, wenn Takt, Lautstärke und Absicht ein harmonisches Ganzes ergeben. Die Anzahl von drei Klopfsignalen dürfte die beste sein. Heinrich Heine schrieb: „Er klopfte dreimal / an meine Tür und rief: Ich bin der Mai / Du bleicher Träumer, komm, ich will dich küssen!“ Während man ganz ohne Kuss durch die dunklen Innenstädte wandelt, könnte in einem der grauen Fenster ein Zettel hängen: „Bei Lieferung oder Abholung, bitte klopfen!“ Damit ist dies gemeint: mutig ist wer klopft, dann wird es hell und offen. Allerdings muss man erstmal auf die Idee kommen, dass eine solche Notiz dort wartet. Am besten das Ostereiersuchen jetzt schon üben: beim Spaziergang durch die Fußgängerzone die Blättchen mit lichtbringender Botschaft aufspüren. 

Sicher wollte CDU-Chef Armin Laschet ebenfalls Licht in die Runde bringen, als er zum Koalitionsausschuss diese Woche Gedichte Heinrich Heines mitbrachte. Kein schlechter Schachzug: als Rheinländer mit der Poesie eines Düsseldorfer Dichters an die Spree zu reisen, um dort an die Berliner Tür zu klopfen. Heinrich Heine liefert diesbezüglich eine gute Vorlage. Im Jahr 1821 fuhr er nach Berlin, klopfte an die Tür seines zukünftigen Verlegers und sagte: „Ich bin Ihnen völlig unbekannt, will aber durch Sie bekannt werden.“ Nach den ersten Veröffentlichungen folgten die zahlreichen Berliner Salons und bald wurde Heine zum deutschen Lord Byron ausgerufen. Man merke: auch in diesem Fall begann die Geschichte mit einem schlichten Dreimalklopfer. Das Klopfen ist eben doch viel mehr als nur das Schwesterlein des Handschlags.