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Eine Kolumne von Bastian Flimm
29. Mai 2021

Von Wetterpassagen, Traumwissenschaftlern und Hölderlins Versuchen all diesen Dingen Herr zu werden

Es gibt Tage, an denen Wind und Regen die Menschen von einem schützenden Dach zum nächsten treiben. In der Literatur hat das Wetter die Aufgabe, Veränderungen anzukündigen. Der Held des Romans muss die nächste Herausforderung meistern, vorher blitzt und donnert es, dann weiß der Leser schon, dass ein Widersacher die Bühne betritt. Lesenswert sind auch jene Passagen, in denen das Wetter eine zweideutige Funktion erfüllt: ist es ein beiläufiges Stimmungsbild oder doch ein fragmentarischer Blick ins Unterbewusste? Hölderlins Naturbeschreibung im Briefroman „Hyperion“ erinnert gar an einen Traum: „… rechts wälzten Wetterwolken sich her über den Wäldern des Sipylus, ich fühlte nicht den Sturm, der sie trug, ich fühlte nur ein Lüftchen in den Locken, aber ihren Donner hört ich, wie man die Stimme der Zukunft hört, und ihre Flammen sah ich…“

Träume mögen manchmal in die Zukunft schauen, aber warum träumt eigentlich der Mensch? Vor wenigen Wochen hat die amerikanische Tufts Universität aufgrund ihrer Beobachtungen von künstlicher Intelligenz einen interessanten Rückschluss auf das menschliche Gehirn und das Träumen gezogen. Die Leistungsfähigkeit von künstlichen Netzwerken kann insbesondere dann gesteigert werden, wenn monotone Aufgaben unterbrochen werden. Deshalb werden die Netzwerke von Programmierern mit Chaos gefüttert, bzw. mit Aufgaben, die sie nicht verstehen können. Die Wissenschaftler schlussfolgern, dass Träume eine ähnliche Funktion haben. Während der Mensch tagsüber oft ähnlichen Tätigkeiten nachgeht, beginnt mit der Zeit seine Intelligenz und Überlebensfähigkeit abzuflachen. Ein Traum, vor allem von der seltsamen Sorte mit unerklärlicher Handlung, bricht diese Eintönigkeit und gibt dem Menschen etwas, das er nicht verstehen kann. Obwohl es paradox klingt, kann ausgerechnet dieses Nichtverstehen dazu führen, dass Lösungen für alltägliche Probleme zustande kommen.

In diesen Maitagen blüht noch immer das Unverständnis über den kalten Monsun-Mai, der sich auch zum Ende hin nicht in einen Wonnemonat verwandeln will. Ist es denn nur ein Märchen, dass der Mai ein frühlingshafter Monat der Zärtlichkeit ist? Geht man zurück ins achte Jahrhundert, in dem Karl der Große den Mai als „Wonnemond“ bezeichnete, stellt man fest, dass es sich um ein großes Missverständnis handelt. Als Karl der Große „Wunnimanot“ sagte, meinte er “Weidemonat“, welches bedeutet, dass man das Vieh wieder auf die Weiden treiben kann. Aber das Missverständnis hält sich schon seit über 400 Jahren, denn im Wörterbuch der Brüder Grimm steht seit dem Jahr 1587 geschrieben, dass der Mai ein Wonnemonat der Lieblichkeit sei. Vermutlich haben die Götter, die man auch als Programmierer der irdenen Existenz bezeichnen könnte, diesen Fehler bemerkt und nun das Wetter auf die ursprüngliche Bedeutung hin angepasst. Oder die Menschen träumten im letzten Trockensommer vom kaltnassen Mai und nun ist es so gekommen. Das wäre ganz im Sinne von Hölderlin, der den Menschen dafür fähig hält. „Oh ein Gott ist der Mensch, wenn er träumt…“ heißt es später im Hyperion. Aber all das sind mal wieder nur Spekulationen. Für heute darf man festhalten, dass nicht nur der Traum sondern auch das Wetter stets eine rätselhafte Restgröße offen lassen.