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Eine Kolumne von Bastian Flimm

 

Während Schmetterlinge umher flattern, lässt sich die Sommerpause mit Geistesblitzen von Leibniz genießen

23. Juli 2021

Als der junge Gottfried Wilhelm Leibniz im Jahr 1672 nach Paris reiste, machte er eine erstaunliche Verwandlung durch. Auf der Hinreise noch Jurist, kam er vier Jahre später als von Experten anerkannter Mathematiker zurück. Unter anderem entwickelte er dort das Binärsystem weiter, welches sämtliche Zahlen mit den Ziffern Null und Eins darstellt. Bei Leibniz stand die Null für die „leere Tiefe und wüste Finsternis“, die Eins dagegen für den „Geist Gottes mit seinem Lichte“. Er entwarf die erste mechanische Rechenmaschine, die mit dem Binärsystem alle Grundrechenarten beherrschte. Leibniz’ Absicht war es, die lästige Rechenarbeit an eine Maschine zu delegieren. Außerdem war er davon überzeugt, dass sie weniger fehleranfällig sein würde.

Leibniz hätte diesen Monat seinen 375. Geburtstag gefeiert. Zu Lebzeiten weniger beachtet, sollte zwei Jahrhunderte später das Binärsystem seine krönende Anwendung finden. Zusammen mit der Erfindung der Elektrizität hat es die Geburt des Computers ermöglicht. Denn hier werden die Zustände Strom aus/ Strom an mit den Ziffern Null und Eins dargestellt. Ganz ähnlich geht es dem modernen Menschen in seiner Arbeitswelt; er kennt nur zwei Zustände: Arbeit (Strom an) und Pause (Strom aus). Bei Manchen vielleicht auch anders herum: in der Pause strahlt das Licht Gottes (Strom an) und bei der Arbeit herrscht leere Tiefe und wüste Finsternis (Strom aus). Wie es bei den Abgeordneten in der parlamentarischen Sommerpause zugeht, kann man der Homepage des Deutschen Bundestages entnehmen. Dort steht, dass die Abgeordneten sich ihrem Wahlkreis widmen und mit der Nachbereitung bereits beschlossener Gesetze beschäftigt sind. Wer weiß, vielleicht wird man so manchen Abgeordneten auf seinem Balkon wiederfinden, wo er gerade ein Insektenhotel ins Mauerwerk hämmert. So ließe sich das jüngst verabschiedete Maßnahmenpaket für den Insektenschutz vorbildlich in die Tat umsetzen.

 

Im bevorstehenden Wahlkampfendspurt könnte die Beherbergung von heimatlosen Insekten, z.B. Schmetterlingen, die entscheidende Nasenlänge Vorsprung verschaffen. Es ließe sich das alte aber bewährte Binärsystem wie folgt anwenden. Ohne Hotelgäste herrscht leere Tiefe (Strom aus). Wenn ein Schmetterling eincheckt, strahlt das Licht Gottes (Strom an). Und wenn jeder wohl geruhte Schmetterling nur einem Menschen die gastfreundliche und umweltbewusste Tat ins Ohr raunt, könnte der Abgeordnete pro Hotelgast mit einer extra Stimme bei der Bundestagswahl im September rechnen. Aber das sind wohl doch nur gewagte Gedankensprünge, die weit über die Grundrechenarten hinausgehen. Die Maschine für solche Rechenübungen müsste Leibniz erst noch erfinden. Vielleicht klärt sich einiges im Jahr 2055, wenn das Leibniz-Archiv in Hannover den vollständigen Nachlass veröffentlicht. Die in der Dunkelheit liegenden Baupläne freuen sich schon jetzt auf ihre schmetterlinghafte Verwandlung. Von null auf Eins gestellt fällt frisches Tageslicht auf die handschriftlichen Notizen. Und die geistigen Flügelschläge des Altmeisters fühlen sich fast so an, als wären sie erst gestern nieder geschrieben.