M. Klein
Das flüchtige Logbuch des Mauritius Klein
Das flüchtige Logbuch des Mauritius Klein
Wenn eines Tages alles Gold aus den dunstigen Flüssen geräubert ist, steigt die vergessene Stimme Sapphos empor
Als der Schweiß mir von der Stirn in die Goldwaschpfanne tröpfelte, wollte ich nur ein Schluck Wasser trinken und rasch zurück ans Werk, doch am Horizont erblickte ich eine Fata Morgana in der Gestalt eines Reiters. Wie viele Male war ich um die Mittagszeit solch einer Illusion gefolgt und hatte mich auf einen Besucher gefreut, der, wenn die Dinge gutstanden, sogar Literarisches im Gepäck hatte. Wehret den Anfängen, sagen die Vorsichtigen! Freut Euch nicht zu früh, sagen die Vernünftigen! Lobt den Tag nicht vor dem Abend, sagen die Bibellesenden! Also, wie geohrfeigt von diesen Schlauheiten, neigte ich den Kopf zurück ins Schmutzwasser und schüttelte die Steinchen durch die Pfanne: ein echter Erbsenzähler im Dienste des Teufels. Aber kurz darauf nahm ich Geräusche war, Hufgeklapper, Schritte mit Sporenstiefeln; ich hob den Kopf voller Ehrfurcht in die Augen eines Geistes zu schauen. Vor mir stand ein Buffalo-Girl, welches auch locker als kleine Schwester von Alice aus Resident Evil hätte durchgehen können. Sie warf ihre Tasche in den Staub und blickte sehnsüchtig auf das schattige Plätzchen meiner Veranda. Ich bot ihr an sich auszuruhen, lotste sie dorthin und überlegte nebenbei, ob das Blaufärben der Haare unbedingt nötig gewesen war. Nun gut, auch eine bleibewaffnete Wüstenkriegerin kann sich nicht dem raumgreifenden Diktat der Mode entziehen. Ich sagte ihr gleich, ich wolle weder Münzen, Tabak noch Fleisch. Wenn sie möge, solle sie mir am Abend etwas vorlesen. Also machte ich mich zurück an die Arbeit, darüber rätselnd was sie mir servieren würde. Schließlich wurde es Abend, wir aßen gemeinsam etwas Kartoffelsuppe, und dann, als ich eine kleine Runde Wein spendierte, holte sie ein Stück Papier hervor und sprach diese Zeilen, gar nicht in meine Richtung, sondern nach oben in den neugierigen Sternenhimmel.
Sappho
tausend Meilen schales Wasser
spülten dich in Grund und Boden
niemand wird dich rufen hören
kein Herz gestrickt um deinen Vers
finde nun den Weg zurück du
denn es flehet deine Schwester
sie reitet Nord nach Süd nach West
und wacht zerstreut im Osten auf
sie hat tausend Mal verneint
ihr Busen ihre Beine einer
Männerbrust zu schenken, doch
traf in einer Schenke ihren Mittelsmann
und die Wochen fliegend‘ Herzen
sie zerbrachen mit dem Krieg,
er ginge fort um dort zu kämpfen
doch tapfer‘ Kugel traf ihn schwer
wie sie gehört ein stolzer Tod
doch sein Lied kann sie noch singen
wünscht sich Sappho an die Seite
steh‘ mir bei, denn ich will sterben
In der Stille des knisternden Feuers musste ich über so vieles nachdenken. Ja, natürlich hatte sie ihr Gedicht Sappho gewidmet, der sagenhaften, stilprägenden Dichterin der Antike. Die Geistesgrößen ihrer Zeit sollen ihr komplett verfallen gewesen sein, es gibt sogar eine Odenform, die nach ihr benannt ist. Ich las mal ein Gedicht von ihr und wollte, während ich den Rotwein über den Gaumen hinab gleiten ließ, ein paar Zeilen aus dem Vergessen zurück zaubern. Wo der Rotwein an Grenzen stößt, gibt der Gin neue Hoffnung und so legte ich mich auf den Rücken, ließ die Medizin wirken und suchte zwischen den Sternen nach einer Antwort. Es kam ein ganz anderer Gedanke: war ich nicht selber mal verliebt gewesen? In das junge Mädchen, heute meine Frau. Nur einmal im Monat sehe ich sie, wenn ich in der Stadt die mir ins Netz getrudelten Goldkügelchen umtausche – was für ein Leben! Wie erbärmlich du vor dich hin existierst, Mauritius Klein, du armseliger kleiner Wicht. All diese wirren Gedanken fingen Gott sei Dank der Gin auf und legte sie sanft in die Erde, worauf ich wohlbehütet in den Schlaf fiel. Am nächsten Morgen war die Reiterin fort. An der Veranda hing ein Zettel, worauf ich ihr Gedicht nachlesen konnte.
9. September 2020, Mauritius Klein