B. Flimm
Das Streiflicht
Eine Kolumne von Bastian Flimm
Das Streiflicht II
Eine gewisse Unruhe machte sich breit, denn der Autor noch um Worte ringend, sollte in wenigen Stunden die sakrosankte Kolumne, erste Seite oben links, mit einem Schwall von Bonmots füllen. Und seinen Telefon-Joker hatte er schon verballert. Und zwar mit einer SMS an die bessere Hälfte mit dem Wortlaut: „Was soll ich nehmen? Weil ein Igel ein Metallstück über den Hof schiebt, wird Polizei alarmiert; oder Haarlocke von Abraham Lincoln für 81.000 Dollar versteigert.“ Aber das Handy schwieg. Keine Antwort von der Liebsten. Genau dies sind die dunklen, abgründigen Momente des irdischen Daseins. Man steht vor einer steil aufsteigenden, unüberwindbaren Felswand, man weiß nicht weiter, es beginnt zu regnen und zu gewittern und das schlimmste: man ist allein.
Sollte dies nicht der Moment sein, in dem man, Brust nach vorne, den Widerständen trotzt? Ja natürlich. Aber woher die Mittel nehmen? Welch kluger Kopf neigt sein von den Epochen verblichenes Gesicht zu mir hinunter und flüstert einen erhellenden Gedanken ins Ohr? Während ich darauf warte, wird mir zunehmend bewusst, dass sich dies als Übung in Geduld herausstellt, welche überhaupt eine interessante Tugend ist, da sie ziemlich leise daherkommt. Die sprachliche Herkunft des Wortes ‚Geduld‘ lässt sich bis ins 8. Jahrhundert zurückverfolgen. Das zugehörige Verb ‚dulden‘ hat seine Wurzeln in dem indogermanischen Wort für tragen bzw. ertragen. Das gefällt mir schon ganz gut, denn etwas zu tragen, stellt eine konkrete Aktivität dar. Jetzt mal ganz ehrlich, wenn der goldene Ratschlag eines Freundes „Sei geduldig!“ einem wie ein nasser Waschlappen auf die Stirn klatscht, wer weiß da schon, was zu tun ist? Das bedeutet so viel wie „Jetzt tust du erstmal nichts!“, oder?
Wenige Schritte vor der beruflichen Bedeutungslosigkeit, nahezu mittellos und schon darüber rätselnd wie die Monatsmiete zusammengehökert wird, hörte ich dennoch den leisen Ruf von Freifrau Marie von Ebner-Eschenbach. „Wer Geduld sagt, sagt Mut, Ausdauer, Kraft.“ Nun das war ein Schritt nach vorne, und der Begriff von Geduld wurde etwas plastischer. Ganz bestimmt ist Geduld eine Tugend, die individuell ausgeformt werden will, damit sie ihre Kraft entfalten kann. Daraufhin sprang ich vom Stuhl, fest entschlossen all diese zusammen gekehrten Abstraktionen in eine Tat zu verwandeln, begab mich zur Teeküche, legte mir einen nassen Schwamm auf den Kopf und streckte die größte greifbare Kaffeetasse mit der Aufschrift „ich bin toll“ wie einen heiligen Gral in die Höhe. Die verwunderten Blicke der Kollegen kreuzten sich mit dem Handygezwitscher aus meiner Hosentasche; die Antwort SMS meiner Frau lautete: „Nimm den Igel“. Ach wie schön, jetzt weiß ich endlich was ich schreiben soll, und wie gut das tut, wenn im Endspurt die willkürlich auseinandertreibenden Teile des Universums zielsicher auf einen kugelrunden letzten Punkt kommen.
17. September 2020, Bastian Flimm