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B. Flimm

Das Streiflicht

Eine Kolumne von Bastian Flimm

Das Streiflicht III

„Schreib doch mal was über Serendipity“, höre ich meine Frau durch die Wohnung rufen. Selbstverständlich werde ich das nicht tun; wo kämen wir denn da hin, wenn jeder das täte, was seine Frau ihm zufällig vor die Füße wirft? Aber nun vergehen die Tage, in Kürze möchte ich wieder einen Text in die Redaktion schicken und wundere mich über dies: gestern sind meine alten Joggingschuhe von der Terrasse abhandengekommen. Es ist schon länger bekannt, dass Füchse gerne Schuhe stibitzen. Tierexperten erläutern nun, dass der Schuhdiebstahl eine Art Training für den Beutefang ist. Dabei hat sich herausgestellt, dass insbesondere Schuhe mit auffälliger Duftnote eine Rolle spielen, das kann z.B. ein Lederschuh sein, der vom Geruch her an das ursprünglich in freier Wildbahn herumspringende Tier erinnert. Dieses füchsische Verhalten erinnert mich an ein altes persisches Märchen.

 

In dem Märchen die drei Prinzen von Serendip werden aussichtslose Situationen mit Beobachtungsgabe und Beharrlichkeit gemeistert. Der moderne Begriff Serendipity leitet sich daraus ab: darunter versteht man eine zufällig gemachte Beobachtung, die nach weiterer Prüfung eine interessante Erkenntnis zutage fördert. Serendipity ist verwandt mit dem glücklichen Zufall, geht aber darüber hinaus und zwar aus zwei Gründen. Man ist bereits hartnäckig auf der Suche nach etwas, nur ist das was man sucht und das was man findet in der Regel etwas völlig anderes. Außerdem ist man bereit, wenn man die Beobachtung macht, dieser die notwendige Zeit zu widmen. Ein schönes Beispiel ist die Wissenschaftlerin Federica Bertocchini, die auch Hobby-Imkerin ist. Während sie ihre Bienenstöcke von Wachswürmern befreite, stellte sie fest, dass der Plastikbeutel, in den sie die Würmer legte, bald Löcher aufwies. Bei genauerer Betrachtung stellte sie fest (welches später bewiesen werden konnte), dass deren Enzyme Plastik bzw. Polyethylen abbauen können. Sie machte diese Entdeckung im Rahmen ihrer Hobby-Tätigkeit des Imkerns, als Wissenschaftlerin untersucht sie aber die frühe Entwicklungsphase von Wirbeltieren.

 

„Was hat das mit dem Fuchs zu tun? Und was ist mit deinen Schuhen?“, höre ich ungeduldig zu mir hinüberschallen. Wenn ich nicht ganz irre, lässt sich der Fuchs als Vorbild in Sachen Serendipity in die Lehrbücher aufnehmen. Wenn er am frühen Morgen loszieht, will er da abgetretene nach Fußschweiß riechende Hausschuhe an sich reißen? Nein, ein Fuchs hat ein anderes Beuteschema. Aber wenn er schon unterwegs ist und solch interessante Objekte entdeckt, da kann er sie zu Übungszwecken entführen und sich auf diese Weise dem täglichen Überlebenskampf stellen. Es hat auch etwas spielerisches, wenn der Fuchs zum Feierabend hin mit alten Joggingschuhen im Maul in die heimische Höhle zurückkehrt. Und es scheint mir, dass diese spielerische Qualität ein ergänzendes Merkmal in der Ausübung von Serendipity sein könnte. Aber das habe ich nur im Vorübergehen entdeckt. Eigentlich wollte ich nur meine Schuhe wiederfinden. Omnia casu fiunt, alles ist das Werk des Zufalls. 

5. Oktober 2020, Bastian Flimm