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Eine Kolumne von Bastian Flimm
7. Mai 2021

Ein Buch flattert eilig herbei um die Not rund um den digitalen Impfpass zu lindern

Vor 1900 Jahren verstarb Cai Lun, der Berater am chinesischen Kaiserhof, der als Erfinder des Papiers gilt. Obwohl es Papier bereits 200 Jahre früher gegeben hat, waren es seine Innovationen, die zu einem deutlichen Anstieg der Produktion führten und somit zur Verbreitung beitrugen. Im Detail beschreibt er das Aufschließen von Pflanzenfasern und die Methode des Verfilzens durch Schöpfen mit einer Form. Einer Legende zufolge soll seine Erfindung auf die Beobachtung von nestbauenden Wespen zurück zu führen sein. Wespennester bestehen aus einer papierartigen Masse. Das Ausgangsmaterial ist morsches Holz, welches zu Kügelchen zerkaut wird. Der Kaiserhof wusste seine Fähigkeiten zu schätzen und beauftragte ihn damit, die Erstellung der „Fünf Klassiker“ zu überwachen: dies sind die fünf Bücher, die den klassischen Kanon des Konfuzianismus darstellen.

Ungefähr 1.500 Jahre später, im Jahr 1617, schrieb Zhang Yingyu das „Buch der Schwindeleien“, eine Parodie auf „I Ging das Buch der Wandlungen“, welches eins der Fünf Klassiker ist. Die darin enthaltenen Geschichten handeln von der hohen Kunst des Gaunerlebens. Da liest man vom Schicksal des Pferdehändlers Chen, der einen vornehmen Herren trifft, der vorgibt ein Pferd zu kaufen. Chen begleitet den Herren, der ein Hochstapler ist, auf dem Weg sein Geld zu holen. Kurzentschlossen geht der Herr in ein Geschäft, um Seide zu kaufen. Dem Seideverkäufer erzählt er, dass er den angebotenen Preis mit seinem „Kollegen“ Chen besprechen möchte, der vor dem Laden wartet. Mit der Seide in der Hand geht der Hochstapler auf die Straße und läuft davon. Nun gerät der arme Chen in ein zermürbendes Gespräch mit dem Seideverkäufer, der ihn für den Kollegen des Diebes hält. Das Ganze gipfelt darin, dass Chen sich vor einem Gericht rechtfertigen muss. Zhang Yingyu lobt den Einfallsreichtum des Gauners, der den Pferdekauf als Ablenkungsmanöver geschickt inszeniert hat.

Das Buch, aktuell nur auf englisch erhältlich, könnte das Zünglein an der Waage rund um den digitalen Impfpass sein. Die im Impfpass gespeicherte Impfung soll über einen Datensatz verschlüsselt und mit einem geheimen Schlüssel signiert werden. Aber genau dieser Schlüssel ist das Problem, denn er kann durch einen Hacker entwendet werden. Die Fälschung des digitalen Impfpasses scheint vorprogrammiert. Anke Domscheit-Berg, netzpolitische Sprecherin von Die Linke, sagte hierzu: „Es ist wahrscheinlicher, dass da etwas schief geht als dass es nicht schief geht.“ Vor diesem Hintergrund dürften die Entwickler des Impfpasses das Buch der Schwindeleien bald als notwendige Literatur sich gegenseitig empfehlen, denn hier sind all jene Tricks vermerkt, die der Impfpass verhindern soll. Was Zhang Yingyu schon lange wusste, gilt heute um so mehr: es braucht einen Dieb, um einen Dieb zu fangen. Oder man hält sich an das, was Matthias Marx vom Chaos-Computer-Club empfiehlt: den guten alten Impfpass aus gelbem Papier. Da würde sich natürlich Cai Lun freuen, der uns dankend aus dem Jenseits ein zufriedenes Lächeln schickt.