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Eine Kolumne von Bastian Flimm

 

In Schwerelosigkeit versetzte Spinnen lösen Betrachtungen über das römische Reich und drei Kanzlerkandidatinnen aus

8. August 2021

Bei einem gut gebauten Spinnennetz laufen die Fäden des symmetrischen Radnetzes in der Mitte zusammen. Beim genaueren Hinsehen offenbart sich, dass der Punkt der zusammenlaufenden Fäden nicht immer perfekt zentriert ist. Die Spinne sitzt an jener Stelle, etwas oberhalb des Mittelpunktes, um von der Schwerkraft beflügelt abwärts auf ihr Opfer zu springen. Nun wollten Wissenschaftler herausfinden, wie Spinnen ihre Netze in der Schwerelosigkeit bauen. Zu diesem Zweck durfte eine Gruppe goldener Seidenspinnen mit ins Weltall reisen und zwar auf die ISS. Man fand heraus, dass Spinnen perfekt symmetrische Netze in der Schwerelosigkeit bauen, da sie sich nicht orientieren und nicht wissen können, wo oben und unten ist. Rein zufällig entdeckte man, dass wenn eine Lichtquelle vorhanden war, Spinnen ihre Netze bauten wie auf der Erde. Die Begründung: das Licht wird mit der Sonne gleich gesetzt. Und da wo die Sonne scheint, ist oben.

Ein Lebewesen, das so mühelos die Schwerkraft mit Sonnenlicht ersetzt, darf mit einem hohen Überlebenspotential rechnen. Ob der Mensch zu solchen Kunststücken fähig wäre? Betrachtet man die Grenzen des römischen Reichs in ihrer Ausdehnung von vor 2.000 Jahren, fällt auf: Rom sitzt in der Mitte des Reiches, welches von Schottland im Nordwesten bis nach Ägypten im Südosten reicht. Schaut man genauer hin, entdeckt man, dass Rom oberhalb des Zentrums sitzt und spinnenartig auf die nächstbeste kolonisierte Fruchtfliege wartet. Aber behielten die Römer das Erfolgsrezept bei? Leider nein: vor etwa 1700 Jahren begannen die Kaiser außerhalb von Rom und näher an der Reichsgrenze zu residieren. Sehnsucht für Grenzregionen bewiesen auch die Mitglieder des Welterbekomitees, als sie vor wenigen Tagen den niedergermanischen Limes in die Unesco-Welterbestätten aufnahmen. Davon werden viele der am Rhein liegenden ehemaligen römischen Siedlungen profitieren, z.B. Xanten.

In Xanten gab es eins der größten Amphitheater nördlich der Alpen mit ca. 10.000 Plätzen. An einem Tag kämpften 10 bis 12 Gladiatorenpaare miteinander. Im Sommer 2021 müssen nur drei Gladiatorinnen das Volk unterhalten: Baerbock, Laschet und Scholz. Sie kämpfen weniger mit Schwertern als mit Wörtern, insbesondere das geschriebene Wort hat wieder Hochkonjunktur. Aber wer hat schon „Jetzt“ von Annalena Baerbock, „Hoffnungsland“ von Olaf Scholz oder „Aufsteigerrepublik“ von Armin Laschet gelesen? Vielleicht ist es gar nicht so wichtig, diese Bücher studiert zu haben. Bedeutsamer ist die Frage, was in 2.000 Jahren von heute Archäologen im Staub der einstigen Bundesrepublik finden werden. Während goldene Seidenspinnen über den Sand versunkener Autobahnen flitzen, wäre es doch schön, wenn ein Buchdeckel aus der Steppe in Richtung Sonne ragt. In dessen Schatten könnte sich eine Seidenspinne einrichten, dort ein wunderbares Netz spinnen und sich an ihrer Lieblingsstelle niederlassen: oberhalb des Zentrums mit dem Kopf abwärts gewandt. Damit hätte sie sich ein hübsches Heim geschaffen und ganz nebenbei die Blaupause für ein neues, aus dem Staub sich emporhebendes, Staatsgebilde.