B. Flimm
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Eine Kolumne von Bastian Flimm
Erfrischende Perspektiven im Wahlkampfendspurt dank eines Buches aus der Renaissance
25. Sept 202
Als die junge Elizabetta Gonzaga den Herzog von Urbino im Jahr 1489 heiratete, wurde sie mit einer märchenhaften Huldigung empfangen. Kinder schritten mit Olivenzweigen die Hügel von Urbino herab, ein Chor sang eine nur für dieses Ereignis komponierte Kantate und eine Göttin des Frohsinns überbrachte die Glückwünsche aller Anwesenden. Elisabetta Gonzaga sollte zu einer Schlüsselfigur der Renaissance heranwachsen. Als kenntnisreiche Mäzenin gelang es ihr, die Geistesgrößen ihrer Zeit am Hof zu versammeln, um die Fragen der Kunst, der Politik und der sozialen Entwicklung zu diskutieren. Es ist ein Glücksfall der Geschichte, dass unter den Teilnehmern der Diplomat und Schriftsteller Baldassare Castiglione anwesend war, der mit seinem Buch „Il Libro del Cortegiano“ (Das Buch vom Hofmann) ein Abbild des Hofes von Urbino schuf. Das Buch, welches ein Bestseller wurde, behandelt die Frage, welche Eigenschaften ein Hofmann oder eine Hoffrau haben sollte.
Elisabetta Gonzaga, vor 550 Jahren geboren, war bei diesen Gesprächen die von allen verehrte Patronin. Baldassare schätzte sie und ließ nicht ohne Grund in seinem Buch eine Protagonistin die Hauptrolle spielen – eine bemerkenswerte Tatsache für damalige Verhältnisse. Auch wegen der literarischen Qualitäten stieß das Buch auf großes Interesse in der höfischen Kultur Westeuropas. Laut Baldassare sollte ein Höfling Anmut und Eleganz darstellen, wissenschaftliche und kulturelle Bildung vorweisen und über Scharfsinn im Gespräch verfügen. Das Wichtigste jedoch war, in allem Tun die goldene Mitte zu wahren. Damit meinte er die hohe Kunst, nicht kunstvoll zu erscheinen. Egal ob in Wort oder Tat, galt es jegliche Geziertheit zu vermeiden und sie zu umschiffen wie ein gefährliches Riff. Das höchste Ideal war die Reduzierung auf das Wesentliche. Kurzum: alles sollte mühelos erscheinen.
Ende September 2021, auf den letzten Metern zur Bundestagswahl, erscheint so wenig mühelos. Eine seltene Ausnahme war am Sonntag Abend beim letzten Triell um die Kanzlerschaft zu erleben. Zum Thema Klimaschutz zückte die Journalistin Linda Zervakis ein 30 Jahre altes Micky-Maus Heft, welches die Abholzung der Regenwälder zum Thema hatte. Schnörkellos erklärte sie, dass ihre Eltern einen Kiosk hatten und sie sich daher an das Heft erinnerte. Dann fragte sie Herrn Laschet, wie die CDU das Umwelt-Thema verschlafen konnte, wenn selbst Micky Maus so lange Bescheid weiß. Schmunzelnd wies sie auf die lückenhafte Micky-Maus-Bildung in der CDU hin. Mögen die Olivenzweige aus Urbino augenblicklich herbei geschafft werden! Denn hier finden wir all die Merkmale, die Baldassare vorzüglich beschrieb: Raffinesse, Humor, Aufrichtigkeit und Treffsicherheit. Es sei der Frau Baerbock und den Herren Laschet und Scholz geraten: schreiten Sie im Chor der Hofdame Linda entgegen, singen Sie eine eigens komponierte Kantate und begeistern Sie sie für die aktive Politik. Zervakis for President! Wenn nicht 2021, dann spätestens 2025.
Wer im September 2021 bei der Bundestagswahl von 88,5 Prozent der Wählerinnen und Wähler nicht mit einem Kreuz versehen wurde, der sollte „jegliche Geziertheit“ vermeiden und sich nicht in blöder Siegerpose per „Selbstfoto“ den symbolischen Lorbeerkranz aufsetzen, der beim schönen jungen Gott Apoll auch für das bittere „Abblitzen“ bei Daphne steht.
Mit anderen Worten: Linderlein und Wirsingklein sollten sich Flimm-Sala-Bimms Kolumne hinter ihre grünen Ohren stecken.
CM