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B. Flimm

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Eine Kolumne von Bastian Flimm

Ganz konstruktiv: aus der Filmbranche kommen Ideen zur erfolgreichen Gestaltung der Sondierungsgespräche

4. Okt. 2021

Im Jahr 1896 drehte der Franzose Georges Méliès seinen ersten Kurzfilm „Une partie de cartes“. Darin spielen 3 Männer miteinander Karten, ein Kellner bringt ihnen Bier, beobachtet das Spiel und freut sich mit dem Sieger. Der Film orientierte sich an der damaligen Praxis, dass nur alltägliche Szenen gefilmt wurden. Der Unterhaltungswert bestand allein darin, dass die Handlungen gefilmt werden konnten, welches eine technische Errungenschaft war. Nach seinem ersten Film begriff Georges Méliès schnell, dass die wahren Potentiale woanders lagen. Er gilt als Erfinder des Spielfilms, weil er der Erste war, der ausgedachte Handlungen verfilmte. Im Jahr 1902 drehte er sogar den ersten Science-Fiction Film „Le voyage dans la lune“, die Reise zum Mond, in Anlehnung an den gleichnamigen Roman von Jules Verne. Das Lexikon des internationalen Films attestiert dem Film eine „faszinierende Mischung aus umwerfender Naivität und trickreichem Erfindungsreichtum“.

Georges Méliès würde dieses Jahr seinen 160. Geburtstag feiern. Einen weiteren runden Geburtstag, nämlich den 75., feiert heute Susan Sarandon. Die Schauspielerin hatte 1975 mit „The Rocky Horror Picture Show“ ihren Durchbruch. Die Zusage für den Film kam unerwartet, denn Sarandon war seit ihrer Kindheit überzeugt, nicht singen zu können. Als sie beim Casting zu nervös war, einen Ton hervorzubringen, wurde sie gebeten „Happy Birthday“ zum Besten geben. Danach durfte sie die unerfahrene Janet Weiss spielen und den Hit „Touch-a Touch-a touch me“ einsingen, ein Kleinod der Rocky-Horror-Subkultur. Nachdem die jungfräuliche Janet in einer mysteriösen Villa mehrmals in Ohnmacht fällt, schockiert vom Anblick der lüsternen Gestalten, beginnt sie später ihre eigenen verborgenen Leidenschaften zu entdecken. Das gipfelt darin, dass sie um körperliche Erlösung durch Rocky bittet, einen muskulösen jungen Mann. „I wanna be dirty / Thrill me, chill me, fulfil me / Creature of the night“, singt sie in einer faszinierenden Mischung aus umwerfender Naivität und trickreicher Verführungskunst.

Kurz nach der Bundestagswahl bemühen sich die Parteien um maximale Nüchternheit. Im Rahmen der Sondierungen der drei kartenspielenden Parteien, FDP, Grünen und SPD, fällt verdächtig oft das Wort „konstruktiv“. Es scheint, dass alle anderen Worte ausgeblendet werden oder verboten sind. Was das Ausblenden von grundlegenden Bedürfnissen betrifft, hat Janet Weiss reichlich Erfahrung und weiß u.a. die „Kreatur der Nacht“ zu schätzen. Haben die verhandelnden Gestalten der vielleicht bald regierenden Ampel-Koalition schon eine erste Nacht gemeinsam durchtanzt? Wenn sie mit dem Hüftschwung von „Time Warp“, ein weiterer Rocky-Horror-Bonbon, die Schranken der verkündeten roten Linien durchbrechen könnten, ließen sich neue Verbindungen schmieden. Und außerdem: die Sondierenden sind noch am Anfang ihrer Reise und bestimmt empfänglich für schlaue Tipps von der Seitenlinie. Zum Beispiel von Janet mit folgenden Zeilen aus ihrem bereits erwähnten Hit: „I’ll put up no resistance / I want to stay the distance“. Ganz ohne Abwehr heißt es nun, die volle Strecke durchzuhalten. Selten wurde so guter Rat so zugänglich erteilt.

Happy Birthday, Susan Sarandon!