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B. Flimm

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Eine Kolumne von Bastian Flimm

2. Dez. 2021

Eine alte Steinsäule und ein junges Blatt Papier treffen sich, um den Aufbruch der jungen Koalition zu diskutieren

In den Trümmern eines verlassenen Dorfs im Südwesten Irans fanden im Winter 1901/1902 französische Archäologen eine bemerkenswerte Säule aus Stein. Die geborgene Stele wurde auf 3800 Jahre geschätzt und als Hinterlassenschaft des babylonischen Königs Hammurapi identifiziert. Das verwendete Gestein ist Diorit, welches aufgrund seiner hohen Festigkeit handwerklich nur schwer zu bearbeiten ist. Um so erstaunlicher ist die Tatsache, dass auf der 2,25m hohen polierten Säule 282 Gesetze in Keilschrift ihren Platz finden. Während einige Wissenschaftler davon ausgehen, dass es sich um eine systematische Zusammenstellung geltenden Rechts handelt, also um ein Rechtsbuch, weisen andere daraufhin, dass die Normen in anderen Quellen kaum zitiert werden. Die ansprechende künstlerische Gestaltung sowie die Verwendung hochwertiger Materialien könnten vielmehr darauf deuten, dass es sich um ein Denkmal handelt.

Die auch „Codex Hammurapi“ genannte Textsammlung markiert in mehrfacher Hinsicht eine Innovation. Zum ersten Mal in der Geschichte wurde die Unschuldsvermutung formuliert und zum ersten Mal mussten Beweise im Rahmen einer Anschuldigung erbracht werden. Ganz nebenbei beinhaltet der Codex die erste Bierschankordnung der Welt. Es ist demnach strengstens untersagt, sein Bier mit Silber zu bezahlen. An Stelle dessen hat man selbstverständlich sein Bier mit Gerste zu vergüten. Solch einen umweltfreundlichen Vorstoß hätte dem Koalitionspapier der rot-grün-gelben Regierung gut zu Gesicht gestanden. Denn ein Zahlungsmittel mit sich zu führen, dass gleichzeitig ein Lebensmittel ist, spart nicht nur Aufbewahrungskosten, sondern auch den landschaftsschädlichen, mühsamen Abbau des Edelmetalls. 

Bei der Vorstellung des Koalitionspapiers ließ sich Robert Habeck dazu hinreißen, folgendes zu sagen: „Wir haben uns ganz schön viel zugemutet. Die entscheidenden Momente waren immer dann wenn man voneinander gelernt hat. Gegensätze können überwunden werden durch eine lernende Politik.“ Das könnte ohne Umschweife, in Keilschrift übersetzt, in die nächstbeste Steinsäule gemeißelt werden. Liegt es in der Natur von politisch Verantwortlichen, sich selber stets in Denkmalpose zu inszenieren? Viel hat sich seit Hammurapis Zeit nicht verändert. Doch eilte der designierte Verkehrsminister der FDP, Volker Wissing, zu Hilfe. Er brachte die Politik zurück auf den Boden der Tatsachen und verkündete, dass Dieselfahrer sich keine Sorgen um Preiserhöhungen machen müssten, denn dies würde man durch die Kfz-Steuer ausgleichen. Natürlich wünschen die Grünen sich das Gegenteil: eine Verkehrswende ohne Diesel. Stefan Gelbhaar, Verkehrsexperte der Grünen, stellte sofort klar, dass der Vorschlag nicht durch das Koalitionspapier gedeckt sei. Aber ein Koalitionspapier hat einen maximalen Lebenszyklus von 4 Jahren. Und ist eben kein Denkmal. Um in der Sprache eines Robert Habeck zu bleiben: was könnte ein Blatt Papier von einer Steinsäule lernen? Zur Überwindung der Gegensätze könnte sich das Papier einfach um die Säule wickeln. Der gefühlskalten Säule würde endlich warm ums Herz. Und das flattrige Papier hätte endlich was zum Festhalten. Für den nächsten aufbrausenden Herbstwind.