L. Basho
Raus aus Mitte!
Eine Kolumne von und mit Lukas Basho
Der gut gemeinte Ratschlag eines Freundes führt zu einer beruflichen Veränderung, außerdem Happy End nach antikem Vorbild
Ein guter Freund von mir ist ein sehr gesundheitsbewusster Mensch. Sein Plan ist es, mindestens 150 Jahre alt zu werden. Wir unterhielten uns beim Kaffee in seinem schnuckeligen Häuschen im Dauerkleingarten „Am See“, als er mir schließlich den Schlüssel zum ewigen Leben verriet. Wandern. Ja, das überraschte mich sehr und mein Gehirn konnte dieser überragenden Erkenntnis nur im Schneckentempo hinterher hecheln. Ich war quasi abgehängt. Ich hörte mir noch eine halbe Stunde sein Sermönchen an und als ich aufstand, hatte ich in der einen Hand eine Wanderkarte, in der anderen einen Kompass und auf meinem Kopf einen Schlapphut. Nun ja, wie gesagt, er ist ein guter Freund von mir.
Daraufhin machte ich mich auf den Weg und lief in nördliche Richtung durch den Kleingarten, darüber sinnierend ob Berlin eigentlich Berge hat und wie hoch wohl der höchste Gipfel sei. Bevor ich mich versah, spazierte ich an der Vereinsanlage der „Saunafreunde Berlins“ vorbei. Eine elegant laufende barbusige Dame zierte das Vereinslogo und lud mich ein, das umfangreiche Sportprogramm im Glaskasten zu studieren. Insbesondere das Volleyball-Angebot ließ meiner Fantasie freien Lauf; vor meinem geistigen Auge sah ich die Sportlerin aus dem Logo in die Höhe ans Netz springen und ganz cool einen satzentscheidenden Blocker spielen. Mitten in dieser herzerfrischenden Vorstellung lief mir jemand über den Weg der schnurstracks das Tor öffnete und mit einem Stapel Unterlagen auf das Vereinsgelände lief. Es muss der Vereinsvorsitzende gewesen sein. Sein selbstbewusstes Auftreten in Kombination mit dem verschmitzten Lächeln auf den Lippen ließ mich beeindruckt zurück. Warum war ich nicht schon früher auf die Idee kommen, endlich Mitglied eines Saunavereins zu werden? Ganz einfach: als Wohnungsjunkie, Sofa- und Kopfhörerästhet, als Bassist einer bald durchstartenden Indie-Band, als Autor mitten in der Entwicklung eines Berlinromans, als anspruchsvoller Akademiker der nebenbei versucht den Klimawandel zu verstehen und sich klimaneutral verhalten möchte, jedenfalls als jemand der so viel beklopptes Zeug im Kopf hat, dass er nicht mehr weiß wo er anfangen soll, war es bisher unmöglich noch eine weitere völlig behämmerte Idee ins Gehirn zu friemeln.
Mit dieser Erkenntnis lief ich noch eine ganze Strecke weiter bis ich die Haltstelle Heiligensee erreichte. Hier konnte ich mich perfekt ausruhen, nach immerhin locker 60 Minuten Wandern. Schließlich, in der S-Bahn sitzend, wurde mir die Tragweite des gerade Erlebten erst recht bewusst. Ein Detail, auf das ich zunächst gar keine Aufmerksamkeit gehabt hatte, kam mir in den Sinn: im Glaskasten neben dem Sportprogramm hatte ich eine Stellenanzeige „Restaurant Chef gesucht“ bemerkt. Das war die Lösung. Die knappen Einnahmen als selbständiger Autor hatten mir zunehmend das Wasser abgegraben: ich lief durch Berlin wie ein Landstreicher. Hier, in diesem freundlichen, fröhlichen Sauna-Verein, würde mein persönlicher Turnaround beginnen. Und …, hatte ich eine Ausbildung als Koch? Nein, aber hey, Gastronomie ist das klassische Revier für Quereinsteiger. Außerdem: ein knusprig gebratenes Spiegelei ist etwas, das ich beherrsche, erst recht für eine frisch vom Turnier herbei eilende Volleyballerin, die mich mit großen Augen erwartungsvoll anschaut. Nun möchte ich auch 150 Jahre alt werden wie mein guter Freund, der nur wenige Minuten von meiner Arbeitsstätte entfernt im Garten vor sich hin werkelt, wo ich nach Feierabend gerne auf ein Bierchen vorbei schaue und wir das Geheimnis des Lebens – wandern – in Endlosschleifen weiter spinnen und so lange auf die Spitze treiben, bis wir mit Schlapphut in der Hecke landen, auf allen vieren „im Frühtau zu Berge“ grölen und uns dabei auf der größten Heldenfahrt seit Hannibals Überquerung der Alpen wähnen.
19. September 2020, Lukas Basho