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Skeptr0n Schmidt

Willkommen an Bord der Perle 65

Braucht die Welt noch ein weiteres Satire-Magazin? Klar doch, willkommen an Bord der Perle 65!

Von Skeptron Schmidt

Auf hoher See und mitten in der Krise, doch Gott sei Dank kommt Besuch vorbei und es regnet Gedichte

Handfester Streit auf der Perle 65. Es fing so an: Smutje Samson ging’s nicht gut und meinte: „Sollte ich gleich sterben, möchte ich ordentlich bestattet werden, sonst nimmt mich der Fährmann nicht mit!“ Daraufhin Johanna, Ausguck und Erste Trompete: „Sag mal bist du bei einer Sekte oder was?“ Samson, sichtlich beleidigt: „Bist du ungebildet oder was? Griechischer Mythos, der Fährmann Charon … “ An diesem Punkt fühlte ich mich berufen den Streit zu schlichten. „Hört zu“, sagte ich und streckte den Zeigefinger in die Höhe, „Bald werden wir Land sichten, es kommt schon Wind auf, ich bitte euch um nur drei Tage, auch damals schon Christopher Kolumbus, er bat seine Mannschaft -…“ Doch da rief Johanna: „Albatros voraus, alle in Deckung!“ Und tatsächlich, ein riesiger Albatros flog auf uns zu, mit einem Päckchen auf dem Rücken. Direkt über uns leerte er die Fracht und es flatterten viele Papiere herab. Schutzsuchend lagen wir bäuchlings auf der Reling, denn je nach Laune konnte der Albatros im Austausch für die Kurierdienste einen Matrosen einfordern, den er mit dem Schnabel rücksichtslos aufspießte und auf dem Heimweg verzehrte. Das war auch der Grund warum wir überhaupt nur zu dritt dieses stolze Satire-Schiff steuerten.

Doch der Albatros drehte eine Kurve und glitt davon. Samson rief: „ich habe Hunger“, Johanna: „Friss doch Papier!“ Und ich wieder: „Kinder, habt euch lieb, denn wir haben Post erhalten, es sind die neuen Lyriksendungen!“ Daraufhin Samson: „Ist das wahr?“ Sein Gesicht leuchtete. Und Johanna: „Oder sind es doch nur Rechnungen?“

Erfreut streckte ich ein ganzes Bündel A4 Blätter mit Gedichten in die Höhe: „Johanna darf ziehen.“

Während Samson ihr die Augen verband, ein beliebtes Ritual, kehrte glücklicherweise Ruhe ein. Wie eine echte Lottofee zauberte Johanna das folgende hervor. Sie reichte mir das Blatt und ich durfte vorlesen.

 

Der Fährmann

 

Die Laterne halte ich hoch

in voller Fahrt

Die Baumwolle blau leuchtet

mein Bauch

Wellen im Wasser siehst du auch

mein Haar?

Ein Bach in der Tiefe doch dunkel

es strahlt

Meine Duftschleppe erfüllt dich

singende Lerche

Ich werde ein Skandal sein

in deinem Boot

Ich fügte hinzu: „Unterzeichnet mit ‚J. Brochterbeck, in Gedenken an Juana de Ibarbourou‘.“ Samson fing an: „Also das hat eine Frau geschrieben, ihr Vorbild scheint die erwähnte Poetin zu sein, die vielleicht aus Südamerika stammt? Jedenfalls macht sie hier alles falsch, was man falsch machen kann. Warum leuchtet ihr Bauch blau? Das ist kalter Kaffee, man denke nur an die Romantik, Novalis und die blaue Blume der Sehnsucht.“ Johanna wollte das so nicht stehen lassen: „Erstens ist es egal ob Mann oder Frau. Zweitens geht es weniger um den Inhalt, sondern viel mehr um den Klang …‘die Baumwolle blau leuchtet mein Bauch…‘ versteht ihr das nicht? Aber sie macht einen ganz anderen Fehler, der Fährmann als singende Lerche, da hat sie sich vergriffen, da entsteht kein Bild. Deswegen durchgefallen.“ „Moment“, sagte ich und zeigte auf den Schatten des fortfliegenden Albatros, „So ähnlich wie ein Albatros sich vom Postboten in einen menschenfressenden Dinosaurier verwandeln kann, darf auch der Fährmann seinen Launen entsprechend den Trällergesang einer Lerche mimen. Viel wichtiger: die Farbe Blau steht für die Emotion. Das lyrische Ich ist sicher weiblich, es ist also die weibliche Emotion gemeint, das Bauchgefühl, oder auch die Intuition, sie ist die Laterne und führt den Weg, denn in ihr strahlt das Licht. Trotzdem ist das Gedicht ein jämmerliches Beispiel für …“ Nach einer kunstvollen Pause fuhr ich fort: „… für einen Anfänger oder Anfängerin, denn der Titel ‚der Fährmann‘ ist schlecht gewählt,  darum geht es doch gar nicht! Es geht um die Fahrt selber und darum was wichtig auf der Fahrt ist: eine Lerche die tiriliert, der Laternenschein des Bauchgefühls … Und da bin ich wieder ganz bei Samson …“ Ich schaute ihn direkt an: „… Samson, wenn du stirbst, werden wir dich nach allen Regeln der Kunst bestatten, mit Trauerrede und gehisster Flagge, und egal ob es die letzte oder erste Fahrt in einem Menschenleben ist, entscheidend ist doch wie man eine Fahrt antritt. Und das versucht uns das Gedicht zu sagen.“

Obwohl ich dachte, dass Samson empfindlich reagieren würde, lachte er höchst erfreut und schäkerte mit Johanna wie in guten alten Zeiten. Ich holte den Schampus und wir stießen an auf ein Gedicht, das uns erstklassigen Gesprächsstoff geliefert hatte.

12. November 2020